Yannik Eggers, Berlin
Arbovirosen Neue Leitlinien für Deutschland

Die neue Leitlinie liefert praxisorientierte Handlungsempfehlungen vom diffusen Erstverdacht auf eine Arbovirose bis zur spezialisierten Behandlung der einzelnen Erkrankung.

Dengue-, Chikungunya- und West-Nil-Virusinfektionen sind keine rein tropischen Erkrankungen mehr, die nur in endemischen Gebieten einen erheblichen Burden of Disease verursachen oder bei fieberhaften Reiserückkehrern beobachtet werden. Klimawandel, Globalisierung und zunehmende Mobilität haben die Rahmenbedingungen für die Übertragung dieser sogenannten Arbovirosen (arthropod-borne viruses, deutsch: durch Gliederfüßer übertragene Viren) auch in Europa grundlegend verändert. Geeignete Vektoren, allen voran Aedes albopictus, breiten sich seit Jahren kontinuierlich nach Norden aus. Inzwischen ist die asiatische Tigermücke nicht nur in weiten Teilen Südeuropas, sondern auch in zahlreichen Regionen Deutschlands etabliert, unter anderem im Oberrheingebiet, rund um Freiburg, Heidelberg und Karlsruhe.1 Ihre dauerhafte Überwinterung zeigt, dass die klimatischen Bedingungen hierzulande inzwischen geeignet sind, stabile Populationen zu ermöglichen, und damit, nach Einbringung des Virus durch Reiserückkehrer, prinzipiell auch autochthone Übertragungen.

Weltkarte Arbovirosen
Weltkarte Arbovirosen

Aktuelle Epidemiologie

Die jüngsten Zahlen des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC)2 zeigen eindrücklich, dass Arbovirosen längst in Europa angekommen sind. Bis zum 15. Oktober 2025 wurden in Europa 734 autochthone Chikungunya-Fälle in Frankreich und 364 in Italien registriert. Zudem wurden 28 lokal erworbene Dengue-Fälle in Frankreich, vier in Italien und zwei in Portugal gemeldet. Auch beim West-Nil-Virus wurden bis Mitte Oktober 989 lokal erworbene Infektionen mit bekanntem Infektionsort in Europa beschrieben, darunter 63 Todesfälle. Italien erlebt derzeit mit 714 bestätigten humanen Infektionen, davon 48 Todesfälle, den größten Ausbruch seiner Geschichte.2 Global nimmt die Bedeutung dieser Erkrankungen weiter zu. Dengue-Fieber erreichte bereits 2024 weltweit Rekordwerte mit über fünf Millionen gemeldeten Fällen, im Jahr 2025 wurde zudem in einer Reihe von Ländern ein Wiederauftreten von Chikungunya festgestellt. Nach Angaben der WHO3 wurden zwischen dem 1. Januar und 30. September 2025 insgesamt 445.271 vermutete und bestätigte Fälle von Chikungunya sowie 155 Todesfälle aus 40 Ländern weltweit gemeldet. Parallel dazu werden in Südamerika wieder vermehrt Gelbfieber-Fälle beobachtet.

Warum Leitlinie?

Tab. 1   Syndromale Einteilung relevanter Arbovirosen
Tab. 1 Syndromale Einteilung relevanter Arbovirosen

Trotz zunehmender Relevanz gab es bislang keine deutschsprachige Leitlinie, die Prävention, Diagnostik und Therapie dieser Erkrankungen zusammenführt. Zugleich ist die Differentialdiagnostik bei unklarem Fieber mit oder ohne Auslandsaufenthalt in der klinischen Praxis oft diagnostisch herausfordernd. Arbovirosen sind hierbei wichtige Differentialdiagnosen, verlaufen jedoch initial häufig unspezifisch und überschneiden sich in Symptomatik sowie Reiseanamnese. Vor diesem Hintergrund wurde die neue S1-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Arbovirosen in Deutschland“ (AWMF-Registernr. 042-010) erarbeitet und am 31. Mai 2025 veröffentlicht. Sie ist auf die klinisch wichtigsten Erreger ausgerichtet und bietet eine praxisorientierte, interdisziplinäre Handreichung, um Ärztinnen und Ärzten in Klinik und Praxis eine strukturierte Orientierung bei der Prävention, Diagnostik und Therapie dieser zunehmend relevanten Infektionen zu bieten.

Wer war beteiligt?

Federführend wurde die Leitlinie von der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit e. V. (DTG) erarbeitet. Beteiligt waren außerdem zahlreiche weitere Fachgesellschaften, die das breite klinische Spektrum der Arbovirosen abbilden.

Leitlinie für wen?

Die Leitlinie folgt einem interdisziplinären Ansatz, der für die Diagnostik und Therapie von Arbovirosen essenziell ist. Sie richtet sich nicht nur an Infektiologen, Tropenmediziner, Mikrobiologen oder Virologen, sondern an alle Ärztinnen und Ärzte, ob in der Notaufnahme oder der eigenen Hausarztpraxis, die Patienten mit unklarem Fieber, passender Reiseanamnese oder Verdacht auf eine vektorübertragene Infektion versorgen.

Klare Struktur

Die neue S1-Leitlinie ist klar strukturiert und praxisorientiert. Sie gliedert sich in einen allgemeinen Teil, der Grundlagen zu Epidemiologie, Übertragung, Diagnostik, Therapie und Prävention der Arbovirosen vermittelt, und in spezifische Kapitel zu den wichtigsten Erkrankungen: Dengue, Chikungunya, West-Nil, Zika, Gelbfieber und Japanische Enzephalitis. Für alle Fragen rund um die FSME wird auf die bestehende Leitlinie der DGN verwiesen.4 Jedes spezifische Kapitel folgt einem einheitlichen Schema: Vorgehen im Verdachtsfall, Klinik, Diagnostik, Therapie, spezielle Situationen und Prävention. Ergänzend bietet ein Glossar weiterführende Informationen zur virologischen Diagnostik und zu sozialmedizinischen Aspekten. Parallel zur ausführlichen Langfassung wurde eine Kurzfassung erstellt, die die wichtigsten Tabellen, Übersichten und Entscheidungshilfen kompakt zusammenfasst und ideal für den schnellen Einsatz in Klinik und Praxis ist.

Abb. 2  Virämie und Serologie verschiedener Arbovirosen
Abb. 2 Virämie und Serologie verschiedener Arbovirosen

Highlights

Stellen Sie sich vor, Sie haben sich bisher kaum mit Arbovirosen beschäftigt, und plötzlich steht ein Patient mit unklarem Fieber, Myalgien und frischer Reiseanamnese in Ihrem Behandlungszimmer. Was tun? Genau hier setzt die neue Leitlinie an. Sie führt systematisch durch das diagnostische und therapeutische Vorgehen und erschließt Ihnen ein komplexes Themenfeld im klinischen Alltag. Den Einstieg in die Differentialdiagnostik erleichtert auch eine syndromale Einteilung (Tab. 1) der wichtigsten Arbovirosen anhand typischer Leitsymptome: Hat der Patient Fieber mit oder ohne Exanthem, ausgeprägte Arthralgien, neurologische Manifestationen oder hämorrhagische Verläufe? Diese Übersicht erlaubt es, von der klinischen Präsentation auszugehen und mögliche Erreger gezielt einzugrenzen.

Der eigentliche Kurzleitfaden zur Differentialdiagnostik in dieser Situation ist (Tab. 2 und Abb. 3), ein Diagnostik-Algorithmus, der das Vorgehen im Verdachtsfall Schritt für Schritt abbildet, von der Anamnese über Basislabordiagnostik und Teststrategie bis hin zur Indikation für eine tropenmedizinische Mitbeurteilung.

Tab. 2   Relevante Differentialdiagnosen zu Arbovirosen anhand Symptomkomplexe
Tab. 2 Relevante Differentialdiagnosen zu Arbovirosen anhand Symptomkomplexe

Abb. 3   Klinischer Algorithmus bei Verdacht auf eine Arbovirose
Abb. 3 Klinischer Algorithmus bei Verdacht auf eine Arbovirose

Ergänzend bietet eine Übersicht zu den relevanten Differenzialdiagnosen, gegliedert nach Symptomkomplexen. So werden beispielsweise Malaria, bakterielle Infektionen, virale Exantheme oder autoimmune Erkrankungen als mögliche Alternativen gegenübergestellt. Diese Struktur hilft, klinische Überschneidungen besser einzuordnen und vermeidet Fokussierungsfehler. Hilfreich für die eigene diagnostische Praxis ist zudem Abb. 2, die den zeitlichen Verlauf von Inkubationszeit, Virämie und Serologie für alle in der Leitlinie behandelten Arbovirosen darstellt. Diese Grafik zeigt auf einen Blick, wann welche Testverfahren sinnvoll sind. Damit wird eines der häufigsten diagnostischen Probleme in der klinischen Praxis, falsch-negative Ergebnisse durch ungünstige Probenzeitpunkte, systematisch adressiert. Besonders gelungen sind auch die Algorithmen zu Beginn der spezifischen Kapitel. Für jede Erkrankung (Dengue, Chikungunya, West-Nil, Zika, Gelbfieber und Japanische Enzephalitis) steht ein diagnostischer Ablaufplan bereit, der den Weg vom klinischen Verdacht bis zur gesicherten Diagnose und Therapieentscheidung abbildet. Diese Flussdiagramme sind visuell klar aufgebaut und können ausgedruckt als SOP-Poster im Stationszimmer oder der Notaufnahme aufgehängt werden. Zur Therapie der Arbovirosen bietet Abbildung 3 eine kompakte Orientierung zu den allgemeinen Therapieprinzipien und fasst die zentralen Empfehlungen übersichtlich zusammen. Sie stellt die generellen und falls verfügbar spezifischen Behandlungsstrategien, insbesondere die supportive Therapie mit Flüssigkeitszufuhr, Fieber- und Schmerzmanagement vor, und verweist auf mögliche Schutzimpfungen, ohne den Reiseimpfempfehlungen der DTG bzw. Ständigen Impfkommission (STIKO) Konkurrenz zu machen. Die Abbildung dient als praxisnahe Übersicht, um im klinischen Alltag rasch den Überblick zu haben. Die tiefergehende Diskussion zu Krankheitsverlauf, Komplikationen und spezifischen Therapieaspekten findet sich in den jeweiligen krankheitsspezifischen Kapiteln. So gelingt der Spagat zwischen komprimierter Handlungsorientierung und fachlicher Detailtiefe. Damit liefern die Tabellen und Abbildungen das Rückgrat der Leitlinie. Sie fassen die entscheidenden Schritte von der ersten Verdachtsdiagnose bis zur Bestätigung und Therapieempfehlung zusammen. So wird die Leitlinie zu einem praktischen Werkzeug für Ärztinnen und Ärzte, das komplexe tropenmedizinische Zusammenhänge in nachvollziehbare, strukturierte Abläufe übersetzt.

Leitlinie Arbovirosen https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/042-010


Literatur beim Verfasser


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