20. European Aids Conference Eacs 2025 in Paris, Frankreich
Leitlinien und
Fortschritte
Über 1.000 Abstracts wurden eingereicht, 850 Arbeiten wurden gezeigt. Viele der Präsentationen sind virtuell abrufbar und erstmals auch mit Live-Übersetzung in 70 Sprachen. Dagegen funktionierte die Technik vor Ort nicht so reibungslos. Der Start der Präsentationen war holprig, die Projektion der Slides nicht immer optimal und die Webplattform schwierig zu bedienen.

Tab. 1 Empfohlene Firstline-Regime bei HIV-1
Die Stimmung war trotz der angespannten finanziellen Lage nicht depressiv, sondern kämpferisch. Europa könnte die Lücke füllen, die der abrupte Rückzug der USA hinterlassen hat – auch wenn man hierzulande ebenfalls mit Kürzungen konfrontiert ist.
EACS-Leitlinien
Im Hinblick auf die empfohlenen Firstline-Regime gab es keine Änderungen (Tab. 1). Auch wenn in der Studie DOLCE das duale Regime DTG/3TC bei Patienten mit fortgeschrittener HIV-Infektion (CD4<100/µl, 23% VL >500.000 K/ml) gleich abschnitt wie ein 3er-Regime, blieb in den Leitlinien die Empfehlung <500.000 K/ml bestehen (Brites A et al., eP134).
Eine HIV-Neuinfektion bei PrEP-Usern sollte initial nicht mit einem dualen Regime behandelt werden und bei Cabotegravir-PrEP wird eine 3er-Kombination mit geboostetem Darunavir empfohlen. Beim Switch betrifft die einzige Änderung die Empfehlung CAB/RPV-LA nicht bei Subtyp A6 einzusetzen, früher war es bei Subtyp A1. Ganz neu ist die Sektion zu HIV-2. Indikation zur ART ist eine nachgewiesene Viruslast, eine CD4-Zahl <500/µl, eine primäre HIV-2 Infektion, Hepatitis B, Schwangerschaft, Alter >40 Jahre, Begleiterkrankungen und Patientenwunsch. Als Firstline bei HIV-2 werden BIC/F/TAF und DTG + TAF/FTC oder TDF/XTC genannt (Tab. 2).
Im Kapitel Schwangerschaft ist die Empfehlung neu, Viruslast-Kontrollen nach der bisherigen Adhärenz der
Patientin zu planen. Bei unbekannter oder schlechter Adhärenz sollte man die Viruslast alle 2 Monate, zu Woche 36 und
vor Entbindung kontrollieren. Ist die Viruslast im dritten Trimester noch nachweisbar, sollten Kontrollen alle zwei
Wochen bis unter Nachweisgrenze und vor Entbindung erfolgen. Ein Kaiserschnitt zu Woche 38 sollte geplant werden, wenn
die Viruslast zu Woche 36 >400 Kopien/ml beträgt. Bei ART-naiven Schwangeren sind BIC/F/TAF und DTG + 2NRTI die
empfohlenen Regime, nicht mehr ABC/3TC + RAL oder EFV.

Abb. 1 Adipositas und assoziierte Erkrankungen
Das Kapitel „Lipodystrophie“ wurde gestrichen bzw. durch das Kapitel „Gewichtszunahme und Adipositas“ ersetzt. Hierbei wurde das neue Konzept der Adipositas berücksichtigt. Adipositas ist nicht allein ein zu hoher BMI, sondern eine chronische Erkrankung mit/ohne metabolische Veränderungen (Abb. 1). Ein ART-Switch hat wenig Effekt, besser schneiden Lebensstil-Änderungen und GLP-1 Agonisten ab.
Im Hinblick auf die Tuberkulose ist die neue Nomenklatur relevant: Früher „latente TB“ – heute TB-Infektion, früher „aktive TB“ – heute TB-Erkrankung. Die Übersicht zu den Therapiestrategien wurde vereinfacht, ebenso gibt es eine neue übersichtliche Tabelle zur Therapie der MDR-TB und XDR-TB.
Bei der Therapie der Kryptokokken-Meningitis wird analog zu internationalen Leitlinien eine höhere Fluconazol-Dosis von 800 mg empfohlen bis zu negativer Liquorkultur und ART-Start. Danach kann die Dosis auf 400 mg reduziert werden.
Neu aufgenommen in den Impfkalender wurden die RSV- und Gürtelrose-Impfung. Bei Pneumokokken-Impfung sind PCV21, PCSV20 und PCV15 empfehlenswert. Bei kontrollierter HIV-Infektion sind gegen HPV zwei Impfungen ausreichend.

Tab. 2 Empfohlene Firstline-Regime bei HIV-2
Koinfektion
Bei einer Hepatitis B-Koinfektion ist bei HBsAg-positiven Personen 3TC oder FTC in der ART allein nicht ausreichend. Bei „HBc+ Only“ ist dagegen eine ART ohne HBV-aktive Substanz möglich. Mehrere auf dem Kongress präsentierte Studien zeigen ein sehr niedriges Risiko einer Exazerbation. In der Schweizer Kohorte (n=394) kam es bei 4% der Patienten nach Stopp von TDF/TAF zu einer detektierbaren, aber meist nicht quantifizierbaren HB-Virämie. Ein erhöhte GPT wurde bei 30% mit und bei 20% ohne nachweisbare HBV-DNA dokumentiert. Flares wurden nicht beobachtet (Begre L et al., PS15.6.LB).
HIV-PEP
Wenn eine PEP bei oraler PrEP indiziert ist, sollte der Betroffene möglichst bald zwei Tabletten und dann während der Abklärung täglich eine Tablette weiter einnehmen. Mittel der Wahl zur PEP ist hier BIC/F/TAF, eine duale ART sollte vermieden werden. Bei ART-Indikation nach Cabotegravir-PrEP ist eine Tripletherapie mit geboostetem Darunavir sinnvoll.
PrEP

Abb. 2 PASO-DOBLE. Anteil der Teilnehmer mit einer
Zunahme >5% Körpergewicht zu Woche 96
Die PrEP mit langwirksamen Substanzen ist zugelassen, aber in Europa noch nicht verfügbar. Die Vorbereitungen sind
aber bereits angelaufen. Im Rahmen der Studie PURPOSE 5 wird in Frankreich und England untersucht, wie man Personen mit
hohem Risiko für eine HIV-Infektion, die noch keine PrEP einnehmen, für die PrEP mit Lenacapavir begeistern kann. Im
direkten Vergleich scheinen die User allerdings Cabotegravir zu bevorzugen. Im cross-over Vergleich CLARITY hatte
Lenacapavir nach einmaliger Injektion häufiger und größere Reaktionen an der Injektionsstelle verursacht (Boles J et
al., MeP20.4.LB). Eine möglicherweise besser verträgliche intramuskuläre Formulierung von Lenacapavir ist in der
Entwicklung.
Gewicht
Die Gewichtszunahme unter ART wird nach wie vor diskutiert. Konsens ist, dass INSTI der zweiten Generation insbesondere mit TAF zu einer Zunahme führen können. In der Studie PASO-DOBLE (n=553) wurden BIC/F/TAF und DTG/3TC im Switch-Setting verglichen. Nach 96 Wochen war der virologische Effekt vergleichbar, die Gewichtszunahme unter BIC/F/TAF jedoch größer (2,35 vs 0,84 kg; >5% KG 35% vs 20%) (Masia M et al., RO 3.8.LB) (Abb. 2). Die Hoffnung, dass eine Umstellung auf Doravirin/Islatravir zur Gewichtsabnahme führt, wurde durch eine Phase-3-Studie enttäuscht. In dieser Untersuchung wurden supprimierte Personen von BIC/F/TAF (90% >1 Jahr, 50% >3 Jahre) auf Doravirin/Islatravir OD umgestellt. Nach 48 Wochen fand sich kein signifikanter Unterschied im Hinblick auf Gewicht und Körperfett (Orkin C et al., PSO1.2). Damit ist auch dieser Versuch, eine Gewichtszunahme unter INSTI mit/ohne TAF durch Umstellung rückgängig zu machen gescheitert. Von einem Switch weg von INSTI wegen Gewichtszunahme rät Chloe Orkin, London, deshalb generell ab. Welchen Effekt eine frühere Umstellung im ersten Jahr nach Einleitung der ART hat, ist unklar.
EACS Award für Prof. Jürgen Rockstroh, Bonn
© R. Pauli
Alle zwei Jahre vergibt die EACS auf der Konferenz zwei Preise als Anerkennung für langjährige und wirkungsvolle Beiträge im Kampf gegen HIV. In diesem Jahr wurde Prof. Jürgen Rockstroh aus Bonn und der Aktivist Ben Collins aus London geehrt. Den Preis für die beste in den letzten zwei Jahren publizierte Arbeit aus der Grundlagenwissenschaft erhielt der Virologe Philipp Schommers aus Köln.
European Diploma in HIV Medicine
Die HIV-Medizin ist keine anerkannte Spezialisierung, sondern unter dem Dach anderer Fachdisziplinen angesiedelt. Die EACS hat daher ein spezielles HIV-Diplom aufgelegt, das für einen einheitlichen europäischen Minimalstandard sorgen soll. Die Inhalte wurden gemeinsam mit dem Royal College of Physicians of Ireland erarbeitet. An der Prüfung für das Diplom können alle europäische Ärzt*innen teilnehmen, die mindestens drei Jahre in der HIV-Versorgung gearbeitet haben. Die erste Prüfung, an der 38 Personen teilnahmen, fand am 25. September 2025 statt. Die nächste Prüfung ist im September 2026 geplant. Die Gebühr beträgt 750,- €.
Pipeline
Zur Kombination Islatravir und Lenacapavir oral einmal pro Woche wurden die 96-Wochen-Daten der Phase-2-Studie präsentiert. 88,5% (46/52) sowie 100% (46/46) der Teilnehmer erreichten eine komplette Virussuppression unter der neuen Kombination, in der Islatravir in unterschiedlichen Dosierungen eingesetzt wurde (Colson, AE et al., PS 15.5.LB). In den bereits laufenden Studien ISLEND-1 und -2 wird Islatravir in der Dosis von 0,25 mg Q1W eingesetzt.
Zu den Kombinationen mit bnABs wurden die 52-Wochen-Daten zur Phase-2-Studie Lenacapavir + ZAB (Zanlirvi-mab) + TAB (Teropavimab) präsentiert. 89% der Behandelten waren unter der Nachweisgrenze. Drei bestätige virologische Versagen wurden dokumentiert, ein Patient mit LEN- und ZAB-Resistenz, einer mit ZAB-Resistenz und ein Patient ohne Resistenz (Ogbuagu O et al., PS09.02). Unter dem bnAB N6LS Q4M plus Cabotegravir Q1M waren nach 52 Wochen 96% unter der Nachweisgrenze (Griesel R et al., PS09.01).
Heilung
Kein neuer geheilter Patient, aber eine neue Methode auf dem Weg dahin. Mit der neuen Technik Q4ddPCR lässt sich das latente Reservoir intakter Proviren genauer quantifizieren als mit dem aktuellen Goldstandard. Die Q4ddPCR ist eine „High-throughput droplet digitial PCR“, die auf vier konservierte Genomareale zielt. Sie minimiert die Fehlerquote bezüglich defekter Proviren und erhöht gleichzeitig die Robustheit gegenüber Sequenzvariationen (Scheck R et al., MeP09.1.LB).









Diese Seite weiter empfehlen