Robert Beck und Martin Enders, Stuttgart
Parvovirus B19 und Schwangerschaft
Das Parvovirus B19 (B19V) ist der Erreger der Ringelröteln und weltweit verbreitet. Einziger Wirt ist der Mensch. B19V infiziert erythroide Vorläuferzellen im Knochenmark und verursacht dabei eine meist transiente Störung der Hämatopoese.
Epidemiologie
Auch wenn B19V-Infektionen in jedem Lebensalter vorkommen, ist die Inzidenz bei unter 10-jährigen Kindern am höchsten. Bei Frauen im gebährfähigen Alter beträgt die Seroprävalenz in Deutschland etwa 60-70%. Die durchgemachte Infektion hinterlässt eine lebenslange Immunität.
B19V-Infektionen
treten ganzjährig mit saisonaler Häufung im Frühjahr und den
Frühsommermonaten auf. In den gemäßigten Klimazonen sind größere
epidemische Ausbrüche in Intervallen von 4 bis 5 Jahren beschrieben.
Besonders deutlich wurde dies zuletzt Ende 2023 und 2024. Infolge der
strikten Hygienemaßnahmen während der COVID-19-Pandemie gab es im
Nachgang einen substantiellen Anstieg suszeptibler Personen und auch
in der Risikogruppe der Schwangeren eine bis dahin nicht beobachtete
Häufung akuter B19V-Infektionen (Abb. 1).

Abb. 1 Anzahl der im Labor Enders diagnostizierten akuten Parvovirus B19-Infektionen bei Schwangeren zwischen 2019 und 2024
Transmission

Abb. 2 Erythem der Wangen bei einem Kind mit Ringelröteln

Abb. 3 Hautausschlag bei Ringelröteln
Die Übertragung von B19V erfolgt hauptsächlich durch Tröpfchen von (noch) nicht apparent erkrankten Personen. Die höchste Ansteckungsfähigkeit besteht durch Virusausscheidung im Rachensekret bereits 7-10 Tage vor Auftreten der Symptome bis kurz nach Erkrankungsbeginn. Die Inkubationszeit beträgt 13-18 Tage.
Klinik
Der
klinisch apparente Verlauf ist häufig biphasisch mit zunächst
unspezifischen Symptomen wie leichtem
Fieber, Myalgien und
Kopfschmerzen. Im Anschluss daran entwickeln die Patienten ein
charakteristisches
Erythem mit geröteten Wangen („slapped
cheek syndrome“) und girlandenförmigen Effloreszenzen an den
Gliedmaßen und am Körper (Abb. 2 und 3). Insbesondere bei Frauen
können auch vorübergehende Arthritiden/Arthropathien
der Finger-, Hand-, Sprung-
und Fußgelenke auftreten. Ein Großteil der B19V-Infektionen
verläuft
aber ohne klinische Symptome.
Zu den Personengruppen mit erhöhtem Risiko für Komplikationen gehören neben Schwangeren (Risiko: fetale Anämie, Hydrops fetalis, intrauteriner Fruchttod) auch Patienten mit gestörter Hämatopoese (Risiko: aplastische Krise) und immundefiziente Personen (Risiko: chronische Anämie). Sehr selten können auch bei Immunkompetenten mit normaler Blutbildung schwerwiegende Komplikationen wie Myokarditis, Enzephalitis/Enzephalopathie, Hämophagozytose-Syndrom, Hepatitis oder Glomerulonephritis in Erscheinung treten.
Schwangerschaft

Abb. 4 Sonographischer Befund eines Feten in SSW 19 mit B19V-bedingtem Hydrops fetalis (mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. med. Karl Oliver Kagan, Universitätsfrauenklinik Tübingen)
Bei Schwangeren verläuft die Infektion nicht schwerer als bei Nichtschwangeren. Die intrauterine Transmissionsrate beträgt etwa 30-50%, die Mehrzahl der fetalen Infektionen hat aber keine negativen Auswirkungen auf das ungeborene Kind. Weniger als 10% der mütterlichen B19V-Infektionen in den ersten 20 Schwangerschaftswochen führen zu fetalen Komplikationen, danach ist diese Rate noch deutlich geringer (<1-2%). Die Häufigkeit eines Hydrops fetalis nach maternaler B19V-Infektion beträgt über den gesamten Zeitraum der Schwangerschaft 3-4%, das Risiko von Abort oder intrauterinem Fruchttod liegt bei 3-14% und ist hier nach mütterlicher Infektion im 1. Trimenon am größten. Das zeitliche Intervall zwischen Infektion der Mutter und dem Auftreten von Komplikationen beim Ungeborenen beträgt in 75-90% der Fälle weniger als 8 Wochen und in weniger als 5% der Fälle mehr als 12 Wochen. Am häufigsten werden fetale Komplikationen zwischen der 10. und 24. SSW festgestellt (Abb. 4).
Diagnostik
Eine generelle Bestimmung des B19V-Antikörperstatus ist derzeit in der Mutterschaftsvorsorge nicht vorgesehen. Bei erhöhtem Expositionsrisiko wie beispielsweise engem Kontakt zu Kindern im Kindergarten- oder Grundschulalter wird aber die Feststellung des Immunstatus möglichst früh in der Schwangerschaft empfohlen. Bei negativem Befund für B19V-IgG besteht kein Schutz vor Infektion, so dass 2-3 Wochen nach Ringelröteln-Kontakt mittels serologischer Verlaufskontrolle, ggf. auch unter Einbeziehung einer B19V-Nukleinsäure-Amplifikationstechnik (NAT) zum Virusgenomnachweis im Blut, eine akute Infektion auszuschließen ist. Sind dagegen in der Frühschwangerschaft bereits B19V-spezifische Antikörper der Klasse IgG bei negativem IgM-Befund nachweisbar, darf von Immunität ausgegangen werden. Weil B19V-spezifische Antikörper der Klasse IgM nach akuter Infektion innerhalb weniger Wochen unter die Nachweisgrenze absinken können, sollte insbesondere bei epidemischem Infektionsgeschehen und/oder auffälligen Ultraschall- oder Dopplerbefunden eine Infektion in der Frühschwangerschaft mittels quantitativer NAT und serologischer Zusatzuntersuchungen (IgG-Aviditätstest, Bestimmung epitopspezifischer IgG mittels line-Assay) ausgeschlossen werden. Bei Nachweis virus-spezifischer Antikörper der Klasse IgM ergibt sich der Verdacht auf eine akute Infektion, der insbesondere bei fehlenden oder nicht charakteristischen Symptomen durch die Untersuchung auf B19V-DNA mittels quantitativer NAT überprüft werden sollte. In Tabelle 1 ist die B19V-Diagnostik in der Schwangerschaft zusammenfassend dargestellt.
Fetale Diagnostik

Tab. 1 Parvovirus B19-Diagnostik in der Schwangerschaft
Bei labordiagnostisch nachgewiesener maternaler B19V-Infektion in der Schwangerschaft werden regelmäßige Ultraschall- und ggf. auch Dopplerkontrollen mit Messung der maximalen systolischen Blutflussgeschwindigkeit (Vmax) in der kindlichen Arteria cerebri media empfohlen. Durch dieses Vorgehen sollen möglichst frühzeitig Hinweise für eine evtl. auftretende fetale Anämie erhalten werden. Dauer und Häufigkeit dieser Kontrollen erfolgen in Abstimmung mit dem mitbetreuenden Pränatalzentrum. Von verschiedenen Autoren werden Kontrollintervalle alle 7-14 Tage nach mütterlicher Infektion empfohlen. Bei im Ultraschall und dopplersonographisch unauffälligen Befunden besteht hinsichtlich B19V keine Indikation für eine invasive Diagnostik. Ergibt sich dagegen der Verdacht auf eine schwere fetale Anämie und/oder einen Hydrops fetalis, sollte eine Fetalblutentnahme in Transfusions- und ggf. Sectiobereitschaft zur Diagnostik und evtl. Substitution erfolgen. Durch intrauterine Transfusion kann bei Vorliegen einer fetalen Anämie die kindliche Mortalität deutlich gesenkt werden.
Therapie
Derzeit sind weder ein spezifisches antiviral wirksames Chemotherapeutikum zur Behandlung noch ein Impfstoff zur Prophylaxe der B19V-Infektion verfügbar. Die passive Immunisierung unter Verwendung von Standardimmunglobulin-Präparaten kann in Einzelfällen prä- oder auch postexpositionell erwogen werden, eine generelle Empfehlung hierfür gibt es aber nicht.
Prävention
Zur Prävention sollten seronegative Schwangere oder solche mit unbekanntem Immunstatus Einrichtungen mit B19V-Ausbruchsgeschehen meiden. Bei B19V-Infektionen innerhalb der Familie ist eine Expositionsprophylaxe kaum möglich, weil das Virus bereits vor Auftreten von ersten Symptomen in hoher Konzentration im Rachensekret ausgeschieden wird und die akute Infektion nicht selten mit nur wenig charakteristischen Symptomen oder klinisch inapparant verläuft. Es existieren länderspezifische Regelungen zum Beschäftigungsverbot von nicht-immunen Schwangeren bei beruflicher Exposition, welche zu beachten sind.
Literatur bei den Verfassern









Diese Seite weiter empfehlen