Mark Oette, Köln
Ein Monat in Malawi

Malawi ist ein armes, aber ein sicheres, demokratisches Land. Ein Bericht über einen Monat in der Inneren Medizin in einem Krankenhaus auf dem Land.

Malawi ist ein grünes Land ohne wesentliche Bodenschätze. Mit Platz 160 von 182 auf der Liste des weltweiten Entwicklungsstatus (human development index) besteht überall Ressourcenknappheit. Es ist aber auch ein sicheres Land mit wenig Konflikten und einer relativ stabilen Demokratie (Platz 47 von 144 des global peace index).

Spirituelle Verbindung

Abb. 1 Nkhoma Mission Hospita © Mark Oette
Abb. 1 Nkhoma Mission Hospita © Mark Oette

Die Woche beginnt mit einem Gottesdienst. Ein ganzes Krankenhaus nimmt sich fast eine Stunde Zeit, miteinander und in spiritueller Verbindung eingehend über die Patientinnen und Patienten zu sprechen. Beides scheint bei uns zunehmend verschüttet: Die gemeinsame Hinwendung zu den Patienten und der sinnhafte Überbau der Tätigkeit.

Die Bevölkerung ist sehr gläubig, teils christlich, aber auch animistisch geprägt. Selbst vor jeder Endoskopie wird gebetet, in Eintracht zwischen Patientinnen und Patienten sowie dem ärztlichen, pflegerischen und sonstigem Personal. Auch die Reinigungskräfte beten mit, danach wird die Endoskopie meist ohne Sedierung durchgeführt.

Nicht vorrätig

Die Unterschiede zu unseren Verhältnissen sind groß, es mangelt an allem. Laborwerte und Röntgen sind nur sporadisch verfügbar, CT und MRT gibt es nur in der Hauptstadt Lilongwe. Somit wurde meine klinische Tätigkeit auf Anamnese, körperliche Untersuchung und Rückfragen an ChatGPT kondensiert (das Internet klappte gut). Seife, Desinfektionsmittel oder Papierhandtücher gab es nicht. Staatliche Zuschüsse sind knapp, das internationale Personal finanziert sich überwiegend selbst. Für Geräte, Medikamente und Dinge wie Labormaterialien ist das Haus auf Spenden angewiesen. Wir hatten beispielsweise an einem Freitag vier Patienten mit Herzinsuffizienz auf Station liegen, aber nur vier Ampullen Furosemid für das Wochenende verfügbar. Wer in Malawi arbeitet, muss sich an die Aussage „out of stock“ gewöhnen.

Das Krankenhaus

Das Nkhoma Mission Hospital ist ein altes Klosterkrankenhaus, das auf einem weitläufigen Hang am Rand des Örtchens Nkhoma in Form von vielen eingeschossigen Häusern gebaut ist. Überall liegen Tücher zum Trocknen aus, die von den „Guardians“, sprich Angehörigen, die die Patientinnen und Patienten während ihres stationären Aufenthaltes begleiten, vor Ort gewaschen werden (Abb. 1). Die Angehörigen übernehmen die Grundpflege und die Ernährung, was vom Personal des Hauses nicht geleistet wird. Ich war in der Inneren Medizin tätig. An einem Tag pro Woche bildete ich Chirurgen in der Endoskopie aus. Mein bester Partner war Hamus, ein Medical Technician, ähnlich einem Physician Assistant in Deutschland. Wir versorgten täglich gemeinsam die Männer- und die Privatstation und waren für internistische Konsile und Sonographien im gesamten Krankenhaus zuständig.

Edward

In der ersten Woche nahmen wir ein Kind von 14 Jahren auf (Edward), das die Pädiater aufgrund des Alters zu uns verlegten (Abb. 2). Es erinnerte mich an ein „Biafra-Kind“ aus der grauen Vergangenheit und vermittelte aufgrund seiner Konstitution den Eindruck, es wäre nur halb so alt. Die Auszehrung war maximal, der Gesichtsausdruck der eines sterbenden Menschen. Es hatte einen ausgeprägten Aszites (Kwashiorkor), sicher auch auf dem Boden eines portalen Hypertonus bei der hier weit verbreiteten Bilharziose. Eine Peritonitis mit grampositiven Diplokokken wurde gesichert, somit ein Pneumokokken-Infekt. Bei der Punktion entleerte sich 3 Liter Eiter. In seiner Sepsis reagierte Edward kaum noch auf äußere Stimuli und bewegte sich nur noch verlangsamt ohne Kraft.

Der Kleinwuchs und die Auszehrung wies auf eine lange Vorgeschichte hin. Auffällig war die Passivität, mit der die Familie den langsamen Verfall des Kindes in der Vergangenheit beobachtet hatte. Wir drängten darauf, dass neben der antibiotischen Therapie unmittelbar mit einer Ernährungsbehandlung begonnen wird. Bis zum übernächsten Tag war aber nichts passiert. Es war beeindruckend, welche Distanziertheit Familie, Ärzte und Pflege diesem vital bedrohten Kind entgegenbrachten.

Malawi erlebte in den letzten Jahrhunderten wenig anderes als Hunger, Mangel, Mord und Verschleppung, so dass ein solidarisches Empfinden wenig entwickelt ist. Umso widersprüchlicher ist die Freundlichkeit, mit der die Menschen mir gegenüber auftreten, die man bei ihnen im Umgang untereinander nicht beobachten kann. Die Entwicklung von Edward prägte meinen weiteren Aufenthalt in den kommenden Wochen. Wir konnten die akute Situation kompensieren und ihn in recht gutem Zustand entlassen (Abb. 3).

Abb. 2 Edward vor der Therapie
Abb. 2 Edward vor der Therapie

Abb. 3 Nach der Therapie
Abb. 3 Nach der Therapie

Klinische Routine  © Fotos Mark Oette
Klinische Routine © Fotos Mark Oette

Verein für Aufbau

Dr. Jens Vaylann ist chirurgischer Chefarzt des Nkhoma Mission Hospital. Wir arbeiteten viele Jahre zuvor zusammen in einem Kölner Krankenhaus, er vermittelte mir meinen freiwilligen Einsatz. In den letzten sieben Jahren hat er beeindruckende Leistungen vorzuweisen. Unter anderem rief er ein international anerkanntes chirurgisches Ausbildungsprogramm für malawische Ärztinnen und Ärzte ins Leben, versah den OP mit westlichen Standards und gründete zwei Intensivstationen. Seine Frau Dr. Eva Vaylann hat in dieser Zeit als Biochemikerin ein Labor aufgebaut, das nicht nur das Haus versorgt, sondern auch als nationales Ausbildungszentrum für Laborassistenten anerkannt ist. Sie finanzieren diese Maßnahmen über ihren gemeinnützigen Verein actMED e.V. Beide waren äußerst hilfsbereit und boten mir freundlicherweise das vor Ort hergestellte Artemisia-Präparat an. Ich bevorzugte dennoch das gute alte Atovaquon/Proguanil, trotz schlechter Träume.

Krankheitsspektrum

Durch die intensive Hinwendung zur klinischen Medizin war ich am Ende des Monats mit Dingen vertraut, die ich in Deutschland noch nie zu versorgen hatte: Transverse Myelitis, Immundefekt bei „hyperreactive malarial splenomegaly“, schwere Formen der Bilharziose, Tuberkulose ohne jegliche Mikrobiologie, fortgeschrittene rheumatische Herzerkrankungen bei Kindern, etc. Auch ein Patient mit Lepra war dabei.

Bei einer HIV-Prävalenz von 7-9% in Malawi nahmen wir häufig Erstmanifestationen in fortgeschrittenem Stadium und für uns ungewöhnlichen klinischen Bildern auf. In der Diagnostik standen nur Schnelltests zur Verfügung. Bei einer Patientin mit HIV-Infektion und Urogenital-Tbc wurde die cART aufgrund einer Anämie umgestellt (von AZT auf DTG). Dies wurde mit „we changed vom 15A to 13A“ bezeichnet, wobei es sich um zwei der 17 verfügbaren Standardkombinationen in Malawi handelt. Ein weiterer kachektischer Patient mit HIV und Encephalitis wurde komatös aufgenommen. Eine cerebrale Bildgebung war nicht möglich, da die Familie den Transport in die Hauptstadt nicht finanzieren konnte (54 km). Der Liquoröffnungsdruck war normal, so dass zumindest eine Kryptokokkenmeningitis unwahrscheinlich war. Neben der antibiotischen und antiviralen Behandlung initiierten wir eine Toxoplasmosetherapie. Leider gelang die Applikation über Magensonde nur partiell (i.v.-medication out of stock), so dass der Patient die Krankheitsepisode nicht überlebte.

HIV-Ambulanz

Die HIV-Ambulanz wurde vor Jahren von USAID finanziert. Dreimal wöchentlich finden hier Sprechstunden statt, die von speziell geschultem Pflegepersonal durchgeführt werden. Die Standardtherapie ist auch hier 13A (TDF/3TC/DTG). Es gab bislang keinen Mangel, außer bei 5A (TDF/3TC/EFV). Trotz der reduzierten internationalen Spenden reichen die Vorräte noch bis zum Jahresende. Die Medikamente werden auf Paletten geliefert und von der Regierung finanziert.

Eine Viruslastbestimmung erfolgt höchstens einmal jährlich, andere Laborkontrollen finden nicht statt. Cotrim wird lebenslang gegeben, CD4-Kontrollen gibt es nur sehr selten, alle 2-3 Jahre. Falls es Probleme gibt, werden die Patientinnen und Patienten stationär aufgenommen. Überall gibt es für die typischen klinischen Konstellationen Flow-Charts zum weiteren Vorgehen (z.B. für STI oder die Hepatotoxizität von Medikamenten). Die Mitarbeiter orientieren sich an den Malawi-Guidelines, alle haben die entsprechende APP verfügbar. So arbeitet die Einheit komplett autark ohne jegliche ärztliche Begleitung. Wahrscheinlich ist dies der einzige Weg, einer so großen Anzahl von Patienten unter diesen Bedingungen gerecht zu werden.

Lighthouse-Projekt

Gegen Ende des Aufenthaltes besuchte ich das Lighthouse-Projekt im Kamuzu Central Hospital, dem Zentralkrankenhaus von Lilongwe. Die Leiterin Dr. Ethel Rambiki erläuterte die Strukturen und vor allem die zu erwartenden Einschränkungen durch die ausbleibenden internationalen Mittel. Dieses Zentrum, vor 25 Jahren mit US-Geldern in Malawi gegründet, versorgt mit seinen weiteren Ambulanzen einen großen Teil der ca. 95.000 behandelten HIV-Infizierten in Malawi. Vor Ort werden mehr als 11.000 Personen betreut.

Angenehme Überraschung: Dr. Florian Neuhann gesellte sich zu uns. Florian war vor ca. 20 Jahren die treibende Kraft der intensiven Unterstützung des Projektes durch die Deutsche Aids-Gesellschaft mit der Initiative „Friends of Lighthouse“ e.V. Das Zentrum liegt paradiesisch eingebettet in einen alten Baumbestand mit gepflegten Grünflächen, überall trafen wir motivierte, freundliche Menschen.

Die Patientinnen und Patienten gehen durch einen Kanon von Stationen (Counselling, Adhärenzkontrolle, Vital Signs, Labor, Medikamentenausgabe). Das Labor bietet eine große Zahl Point-of-Care-Tests an (inklusive CD4). Die Medikamente werden dann direkt ausgegeben (wie in Nkhoma). Kontrollen erfolgen nach sechs Monaten. Manchmal wird eine Ärztin/ein Arzt hinzugezogen. Weitere Stationen sind ein Bereich für das Zervixkarzinomscreening und STI-Versorgung. In einer Tagesklinik können Infusionen und Interventionen etc. durchgeführt werden. Es steht ein exzellentes Sonographiegerät einschließlich Elastographie zur Verfügung.

FASH

Hier ist der Ort, wo FASH entwickelt wurde (focussed assessment with sonography for HIV-associated tuberculosis), was auch bei uns im Krankenhaus zum Einsatz kam. Es handelt sich um eine standardisierte Point-of-Care-Sonographie auf typische Zeichen der Tbc bei HIV-Infektion: Intra-abdominelle Lymphknoten, freie Flüssigkeit in Pleura, Perikard und Peritoneum sowie fokale Leber- und Milzläsionen. Damit nicht genug. Es gibt ein ambulantes Chemotherapiezentrum, Tbc-Bereiche, Schwangerenbetreuung, Adhärenz-Aktivitäten für Kinder, etc. Ich war tief beeindruckt, auch vom starken Gegensatz zum Niveau der Medizin auf dem Land.

Das Lighthouse wird vorwiegend durch die CDC und PEPFAR finanziert, so dass kein vollständiger Stopp der Unterstützung erfolgte. Dennoch wird mit einer Reduktion der Mittel in Höhe von 55-60% gerechnet, so dass die aktuellen 250 Mitarbeiter nicht gehalten werden können.

Spenden helfen!

Bitte spenden Sie für das Krankenhaus in Nkhoma (www.actmed.de) oder das Lighthouse (www.friends-lighthouse.org) in Lilongwe. Die Spenden sind steuerlich absetzbar. Hierzu passt ein Zitat des Priesters aus einem Gottesdienst in Nkhoma: „Thank you god for the donations that help us serve our patients“.

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