Sven Schellberg, Berlin
Sexuell übertragbare Infektionen Keine Symptome, keine Probleme?

Zufallsdiagnose einer chronischen Proktitis durch Mycoplasma genitalium

Abb. 1 MRT Beckenebene © Sven Schellberg
Abb. 1 MRT Beckenebene © Sven Schellberg

Mycoplasma genitalium ist nicht nur ein fakultativer Auslöser von Urethriden, Proktitiden, Vulvitiden und anderen sexuell übertragbaren anogenitalen Infektionen, sondern auch Gegenstand langjähriger und teils emotional geführter Diskussionen. Die Frage der Pathogenität sowie laborchemischer oder klinischer Resistenz gegen Antibiotika wird kontrovers diskutiert und sorgt für uneinheitliche Standards in Diagnostik und Versorgung. Auch eine aktualisierte Leitlinie zur Behandlung von Infektionen mit M. genitalium lässt bereits lange auf sich warten. In Hinblick auf die Bedeutung bei MSM wird häufig auf die mutmaßlich geringe klinische Relevanz verwiesen – obwohl die Erstisolierung von M. genitalium bei Patienten mit symptomatischer Urethritis gelang.

Klinische Relevanz

Bei MSM, die eine HIV-Präexpositionsprophylaxe nutzen, sehen die Leitlinien regelmäßige Kontrollen auf STI (Sexuell übertragbare Infektionen) vor. Häufig positive Abstrichbefunde auf M. genitalium bei komplett beschwerdefreien Personen, führen nicht selten dazu, dass keine Diagnostik mehr gemacht wird oder positive Befunde als klinisch nicht relevant ignoriert werden.

Wir sind der Meinung, dass Infektionen mit M. genitalium klinische relevant sind. So berichteten wir bereits früher in diesem Jahr1 über eine Zunahme symptomatischer und asymptomatischer Infektionen bei zumeist als „sexpositiv“ definierten Frauen, die Sex überwiegend mit Männern haben. Dies hat potenziell gerade deshalb Relevanz, weil M. genitalium bei Frauen durchaus auch asymptomatische Infektionen auslösen kann, die wissenschaftlich mit Infertilität in Zusammenhang gebracht werden.2,3

Auch bei MSM gibt es Hinweise auf eine hohe Prävalenz von M. genitalium-Infektionen. Die Frage, inwieweit diese bei Männern asymptomatisch verlaufen, kann ebenfalls kontrovers diskutiert werden. So können Patienten Symptome z.B. einer Proktitis oft nur sehr ungenau beschreiben oder sie verwechseln sie mit Symptomen einer fraglichen „Nahrungsmittelunverträglichkeit“. Manche mit Asalazin oder Budesonid anbehandelte Proktitis einer vermeintlichen chronisch-entzündlichen Darmerkrankung entpuppte sich dann nach entsprechender Diagnostik als Monoinfektion mit M. genitalium und verschwand nach leitliniengerechter antibiotischer Therapie.

Kasuistik

Wir berichten hier in diesem Kontext den Fall eines 54-jährigen Patienten, MSM, PLWH der sich extern mit lumbalen Schmerzen sowie mit beginnenden neurologischen Ausfallserscheinungen im Bereich beider Beine vorstellte. In der extern durchgeführten Magnetresonanztomographie bestätigte sich der Verdacht eines lumbalen Diskusprolaps, der neurochirurgisch versorgt werden musste.

Das MRT ergab jedoch den folgenden, auffälligen Nebenbefund: „Das Rektum imponiert wandverdickt, vermehrte Flüssigkeitseinlagerungen im präsakralen Fettgewebe ohne Nachweis einer abgekapselten Flüssigkeitsformation.“ (Abb. 1)

Radiologisch wurde dies interpretiert als „Wandverdicktes Rektum mit Imbibierungen des angrenzenden Fettgewebes DD entzündlich“, weshalb die Vorstellung bei uns zum Ausschluss einer rektalen Infektion erfolgte.

Auf Nachfrage beschreibt der Patient regelmäßigen analen Verkehr auch mit unterschiedlichen Partnern und keinerlei Beschwerden, die auf eine Proktitis hindeuten könnten. Proktoskopisch ergab sich eine erythematöse Schleimhaut mit isolierten Belägen, in der durchgeführten Abstrichdiagnostik ergab sich der Befund einer Monoinfektion mit M. genitalium, Gonokokken oder Chlamydien wurden nicht detektiert.

Fazit

Der hier beschriebene Fall belegt, dass asymptomatische, aber deutlich radiologisch imponierende entzündliche Geschehen nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern in Form einer vermutlich chronischen Proktitis auftreten können. Der beschriebene entzündliche Prozess hat trotz fehlender Symptomatik bereits Reaktionen im umgebenden Gewebe ausgelöst. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass hier im weiteren Verlauf mit Komplikationen zu rechnen gewesen wäre, schließt dieses aber auch nicht aus. Kurz gesagt: Das Fehlen von Symptomen bedeutet nicht automatisch, dass die Diagnostik und Therapie von M. genitalium aufgrund vermeintlich fehlender Konsequenz für MSM entbehrlich sind.

Es bedarf dringend einer umfassenden Strategie für die Testung auf, den Umgang mit und die Therapie von Infektionen mit M. genitalium. Der weit verbreitete kurzzeitige Einsatz von Azithromycin als ex-juvantibus Therapie anogenitaler STI hat die Ausbreitung und Resistenzentwicklung von M. genitalium befeuert. Der derzeit um sich greifende Nihilismus führt zu einer immer weiteren Verbreitung – insbesonders in den vulnerablen Patientengruppen.


1 Schellberg S: Mycoplasma genitalium - a bacteria turns sexpositive. Abstract 75, Deutsch-Österreichischer AIDS Kongress, Wien, Österreich, 2025

2 Ona S, Molina RL, Diouf K. Mycoplasma genitalium: An Overlooked Sexually Transmitted Pathogen in Women? Infect Dis Obstet Gynecol. 2016;2016:4513089. doi: 10.1155/2016/4513089. Epub 2016 Apr 24. PMID: 27212873; PMCID: PMC4860244.

3 De Carvalho NS, Palú G, Witkin SS. Mycoplasma genitalium, a stealth female reproductive tract. Eur J Clin Microbiol Infect Dis. 2020 Feb;39(2):229-234. doi: 10.1007/s10096-019-03707-8. Epub 2019 Sep 14. PMID: 31522281.

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