Christoph Stephan, Frankfurt
Verkürzte Antibiotikatherapie Zwischen medizinischer Effektivität und gesellschaftlicher Verantwortung

Das IQWIG führt nicht nur Nutzenbewertungen für neue Medikamente durch, sondern auch sogenannte „ThemenChecks“. Der kürzlich veröffentlichte Bericht beschäftigte sich mit der Frage, ob eine verkürzte Antibiotikatherapie vertretbar ist.

Antibiotika zählen zu den bedeutendsten medizinischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Sie haben unzählige Leben gerettet. Doch ihr Erfolg bringt Herausforderungen mit sich: Resistenzen, Nebenwirkungen, wirtschaftliche Belastungen und Umweltbelastung durch Arzneimittelrückstände. Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen des IQWiG-ThemenCheck-Berichts die Frage untersucht, ob eine verkürzte Einnahmedauer von Antibiotika bei bestimmten Krankheitsbildern ebenso wirksam wie die längere, bisher übliche Therapieform ist.

Konkret wurden zwei häufige Infektionen betrachtet: die akute Mittelohrentzündung (Otitis media) bei Kindern und die ambulant erworbene Lungenentzündung (Pneumonie) bei Kindern und Erwachsenen. Beide Erkrankungen können, unbehandelt oder unzureichend behandelt, schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben. Gleichzeitig zählen sie zu den häufigsten Gründen für Antibiotikaverschreibungen im ambulanten Bereich.

Pro-Argumente

Ein zentrales Argument zugunsten kürzerer Therapien ist die potenzielle Reduktion von Antibiotikaresistenzen. Studien zeigen, dass eine Verkürzung der Einnahmedauer – sofern medizinisch vertretbar – zur Schonung der mikrobiellen Flora und damit zur Resistenzvermeidung beitragen kann.

Auch individuelle Vorteile sind zu nennen: Kürzere Therapien gehen mit weniger unerwünschten Arzneimittelwirkungen einher. Gerade bei Kindern kann eine reduzierte Einnahmedauer die Therapietreue verbessern, was indirekt die Behandlungsergebnisse positiv beeinflussen kann. Eltern empfinden kürzere Behandlungszeiträume zudem oft als weniger belastend.

Nicht zu vernachlässigen ist der ökonomische Aspekt: Weniger Antibiotika bedeuten geringere Medikamentenkosten. Modellrechnungen aus dem Bericht zeigen, dass die Einsparungen bei einer 3-tägigen Therapie im Vergleich zu einer 10-tägigen bis zu 35 Euro betragen können. Gleichzeitig sinken auch Verpackungs- und Entsorgungsaufwand.

Contra-Argumente

Was ist das Iqwig?

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) untersucht den Nutzen und den Schaden von medizinischen Maßnahmen für Patientinnen und Patienten. Träger ist eine Stiftung, der Vorstand besteht aus Vertretern der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Was ist der „ThemenCheck Medizin“?

Im Rahmen der evidenzbasierten Medizin versucht dieses Programm medizinischen Fragen zu Untersuchungs- und Behandlungsverfahren zu beantworten. Bürgerinnen und Bürger können Vorschläge für Bewertungen von Untersuchungs- und Behandlungsverfahren einreichen, von denen bis zu fünf Themen pro Jahr bearbeitet werden.

Dem gegenüber stehen berechtigte Bedenken. Der zentrale medizinische Maßstab bleibt der Therapieerfolg. Bei der akuten Mittelohrentzündung zeigten die analysierten Studien kein belastbares Ergebnis für die Nichtunterlegenheit verkürzter Therapien gegenüber längeren – im Gegenteil: In mehreren Studien war der kurzfristige Therapieerfolg bei kürzerer Einnahme signifikant schlechter. Auch wenn sich diese Unterschiede bei späteren Kontrollzeitpunkten oft nivellierten, bleibt die Unsicherheit bestehen, ob eine verkürzte Therapie das gleiche Maß an Heilung erreicht.

Besonders kritisch ist die Studienlage bei Kindern und Jugendlichen. Die vorhandenen Daten zur akuten Mittelohrentzündung beschränken sich überwiegend auf kleine Kinder; für Jugendliche und Erwachsene fehlen zuverlässige Studien. Zudem wurde das in Deutschland am häufigsten eingesetzte Antibiotikum – Amoxicillin – nur unzureichend untersucht. Dies erschwert die direkte Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die hiesige Versorgungspraxis.

Ähnliches gilt für die ambulant erworbene Lungenentzündung bei Erwachsenen: Hier konnte der Bericht keine geeigneten Studien identifizieren. Für Kinder hingegen ergaben sich positive Hinweise: Eine 3- bis 5-tägige Amoxicillin-Therapie war einer längeren Behandlung hinsichtlich des Therapieerfolgs nicht unterlegen, zum Teil sogar überlegen, was unerwünschte Wirkungen betrifft. Dennoch bleiben Fragen offen – etwa zu schwereren Krankheitsverläufen, zu anderen Antibiotika und zur Langzeitsicherheit.

Ein weiteres Problem betrifft die Studienqualität: Viele der einbezogenen Arbeiten wiesen ein hohes Risiko für Verzerrungen auf, was die Aussagekraft der Ergebnisse einschränkt. Besonders bei der akuten Mittelohrentzündung war dies der Fall. Damit ergibt sich für viele Therapieentscheidungen eine Grauzone: Die kürzere Therapie mag nicht unterlegen sein – sicher belegen lässt sich das bislang aber nur in Einzelfällen.

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Ethische, soziale und rechtliche Perspektiven

Neben medizinischen und ökonomischen Aspekten beleuchtet der Bericht auch ethische, soziale und rechtliche Gesichtspunkte. Aus ethischer Sicht ist vor allem die Autonomie der Patientinnen und Patienten bzw. ihrer Angehörigen zentral. Auch das Prinzip der Gerechtigkeit spielt eine Rolle: Eine kürzere Therapie kann die gesellschaftlichen Kosten senken und damit Ressourcen für andere Behandlungsfelder freimachen.

Soziale Aspekte betreffen vor allem die ungleiche Betroffenheit: Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien sind häufiger erkrankt und seltener optimal versorgt. Hier kann eine kürzere Therapie unter Umständen eine niedrigschwellige, ressourcenschonende Lösung sein – sofern sie medizinisch abgesichert ist. Auch schulische und berufliche Ausfallzeiten könnten durch schnellere Genesung reduziert werden.

Rechtlich stellt sich die Frage der Haftung: Ärztinnen und Ärzte, die von Leitlinien abweichen – etwa durch eine verkürzte Therapie –, müssen dies gut begründen und dokumentieren. Solange keine eindeutigen medizinischen Standards existieren, sind sie rechtlich auf unsicherem Terrain. Gleichzeitig verpflichtet der Behandlungsvertrag sie zur Aufklärung über Behandlungsalternativen, inklusive deren Vor- und Nachteile. Für die ärztliche Praxis bedeutet dies: Verkürzte Therapien sind möglich, erfordern aber sorgfältige Abwägung und Kommunikation.

Fazit

Die Patientensicherheit steht bei jeder medizinischen Entscheidung an erster Stelle. Verkürzte Antibiotikatherapien können – wie der ThemenCheck-Bericht zeigt – in bestimmten Fällen eine sichere, wirksame und ökonomisch sowie ökologisch sinnvolle Alternative zur Standardtherapie darstellen. Insbesondere bei ambulant erworbener Lungenentzündung bei Kindern liefert die Studienlage solide Hinweise auf eine vergleichbare, teils sogar überlegene Wirksamkeit.

Anders stellt sich die Lage bei der akuten Mittelohrentzündung dar: Hier ist die Datenlage uneinheitlich und schwach, eine generelle Empfehlung für kürzere Therapiezeiträume nicht möglich. Auch fehlen valide Daten für andere Altersgruppen, Antibiotika und Indikationen. Damit bleibt die Entscheidung für oder gegen eine verkürzte Therapie individuell.

Kurzum: Patientensicherheit leidet nicht zwangsläufig unter kürzerer Antibiotikatherapie – vorausgesetzt, die Indikation ist gut geprüft, die Aufklärung erfolgt verantwortungsvoll, und die Therapie wird engmaschig überwacht. Der Weg zu mehr Effizienz, Nachhaltigkeit und Rationalität in der Antibiotikaanwendung ist möglich – aber er braucht solide Evidenz, medizinische Umsicht und gesellschaftliche Unterstützung.

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