Verweigerte Hilfe
„Wir nehmen doch keinen Junkie mit!“

Gleich zweimal wird ein Mann, der nach einer Drogeninjektion medizinische Hilfe sucht, abgewiesen. Er stirbt – vermutlich infolge einer unbehandelten Sepsis. Der Fall aus Wilhelmshaven steht beispielhaft für Vorbehalte gegenüber Drogen konsumierenden Menschen und mangelnde Empathie.

Eigentlich hätte alles gut ausgehen können, denn Manfred* hat alles richtig gemacht. Er erkannte einen medizinischen Notfall und rief über die Notrufnummer den Rettungsdienst. Doch was danach geschah, kostete seinen Freund Bernhard das Leben.

Es ist Montag, der 19. Mai, eine Wohnung im Wilhelmshavener Stadtteil Bant. Bernhard* hat sich Kokain gespritzt, und die Wirkung der Droge setzt wie erwartet ein. Doch kurz nach der Injektion schwillt der Arm an und wird völlig taub. Das Kokain, so die naheliegende Vermutung, war gestreckt oder verunreinigt und hat so zu der Schwellung geführt.

© Gunnar Assmy/stock.adobe.com© Gunnar Assmy/stock.adobe.com

Sanitäter*innen weigern sich zu helfen

Nach dem Notruf trifft binnen weniger Minuten tatsächlich ein Krankenwagen ein. Doch als die Sanitäter*innen die Situation erkannt haben, weigern sie sich, Bernhard zu helfen: „Wir nehmen doch keinen Junkie mit“, heißt es. Stattdessen wird ihm empfohlen, sich ein Taxi ins nächstliegende Krankenhaus zu nehmen.

So schildert Manfred die Ereignisse einige Tage später einer Mitarbeiterin der Aidshilfe in Wilhelmshaven, die in Kontakt mit Bernhard war. Zu diesem Zeitpunkt ist Bernhard bereits gestorben.

Der schnelle Tod lässt als Ursache eine Sepsis vermuten. Er hätte leicht verhindert werden können, doch die
Infektion infolge der verunreinigten Injektion war unbehandelt geblieben.

Feuerwehr will sich nicht äußern

Warum bekam Bernhard keine Hilfe? Die Feuerwehr Wilhelmshaven, die für den Rettungsdienst verantwortlich ist, will sich zu den Geschehnissen nicht äußern. Eine Sprecherin der Stadtverwaltung begründet das gegenüber der Deutschen Aidshilfe (DAH) mit Verweis auf den Datenschutz, bestreitet die Vorwürfe allerdings auch nicht.

Sie betont vielmehr, dass „die im Rettungsdienst eingesetzten Notfallsanitäter*innen sowie Rettungskräfte regelmäßige Fort- und Weiterbildungen“ erhielten – „auch zum professionellen und empathischen Umgang mit suchtkranken oder intoxikierten Personen“. Ziel sei stets, für „eine niedrigschwellige, diskriminierungsfreie und medizinisch fundierte Notfallversorgung für alle Menschen in Wilhelmshaven“ zu sorgen.

Im Falle von Bernhard wurde dieses Ziel definitiv nicht erreicht.

Bundesverdienstkreuz für Hildegard Welbers

© Frank Peter© Frank Peter

Jahrzehntelang hat sich die Aktivistin Hildegard Welbers für Menschen mit HIV eingesetzt. Für ihr Engagement wurde der Lübeckerin am 15. Juli in Kiel von Ministerpräsident Daniel Günther das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Hildegard Welbers erhielt 1997 im Alter von 50 Jahren ihre HIV-Diagnose. Sie fand Halt, Kraft und Klarheit in der Selbsthilfe und wurde dort selbst aktiv. Im Netzwerk „PositHIV & Hetero“ stand sie vielen Menschen mit Rat und Tat zur Seite. Mit ihrer Selbsthilfegruppe „Positive Interessengemeinschaft“ unterstützte sie Aids-Waisen in Uganda. Sie gründete „PRO+“ mit und saß im Patientenbeirat des Kompetenznetzes HIV/AIDS. Ab 2012 war sie als Vorständin für die Lübecker Aidshilfe tätig und ist heute noch im Vorstand der Aidshilfe Schleswig-Holstein und der Aidshilfe Kiel.

Darüber hinaus leistete sie einen großen Beitrag zur Aufklärung über das Leben mit HIV: in zahlreichen Veranstaltungen und in der bundesweiten Welt-Aids-Tags-Kampagne „Leben mit HIV. Anders als du denkst.“

„Mit ihrem außergewöhnlichen Engagement hat Hildegard Welbers Aidshilfearbeit und Selbsthilfe mitgeprägt und zugleich öffentlich Gesicht gezeigt – auch und gerade als heterosexuelle HIV-positive Frau jenseits der 50“, würdigt DAH-Geschäftsführerin Silke Klumb ihre Verdienste. „Wir verneigen uns und gratulieren von Herzen!“

ascho/howi

Keine Hilfe in der Hausarztpraxis

Nachdem der Rettungsdienst die Hilfe verweigert hat, bleibt Bernhard zu Hause. Die Zurückweisung hat ihn womöglich entmutigt, sich selbst ins Krankenhaus aufzumachen. Vielleicht ist er in dieser Situation auch schlicht nicht in der Lage, den Weg dorthin zu schaffen.

Sein Gesundheitszustand verschlimmert sich zunehmend. Am Mittwoch bringt Manfred seinen Freund daher zu einer Hausarztpraxis. Da dort auch Patient*innen substituiert werden, sollte das Personal im Umgang mit Drogenkonsument*innen erfahren sein. Doch weil Bernhard die offizielle Sprechzeit an diesem Tag offenbar verpasst hat, wird er von einer Praxismitarbeiterin an eine Bereitschaftspraxis verwiesen. Dass Bernhard sich in einer ernsten Notlage befindet und bereits den Weg in diese Substitutionspraxis nur unter großen Anstrengungen bewältigt hat, wird entweder nicht bemerkt oder ignoriert.

In der folgenden Nacht verschlechtert sich Bernhards Zustand drastisch. Manfred ruft erneut den Rettungsdienst. Der Notarzt kann jedoch nur noch den Tod feststellen.

In vielen Notfällen kein Notruf

Dass die Umstände dieses Todesfalls überhaupt ans Licht gerieten, ist Manfred zu verdanken, der den Mut aufbrachte, gegenüber einer vertrauten Person von der örtlichen Aidshilfe darüber zu sprechen.

„Sehr oft kann Drogengebrauchenden bei Problemen nicht rechtzeitig geholfen werden, weil sie sich schämen, den Rettungsdienst zu rufen oder zu einem Krankenhaus oder einer Arztpraxis zu gehen“, sagt die Geschäftsführerin des Landesverbandes Sexuelle Gesundheit Niedersachsen (Aidshilfe Niedersachsen), Christin Engelbrecht, in Hannover.

Bei diesem konkreten Fall in Wilhelmshaven sei die Situation allerdings eine ganz andere: „Hier hat ein Mensch aktiv und mehrfach Hilfe bei unserem medizinischen System gesucht und ist abgewiesen worden. Als Folge ist er seinem Leiden erlegen“. Das sei nicht nur inakzeptabel, sondern unmenschlich.

Bleibt der Fall ohne Folgen?

„Sollte sich herausstellen, dass die Verantwortlichen die Not des Mannes ignorierten, ist das ein Skandal und unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge“, betont Engelbrecht.

Tatsächlich aber muss ausgerechnet Manfred, der den Rettungsdienst gerufen hat, womöglich mit einem Verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge rechnen. Damit drohte ihm zumindest der Rettungssanitäter im Verlauf des zweiten Einsatzes, als nur noch Bernhards Tod festgestellt werden konnte.

Manfred tauchte kurz darauf ab, vielleicht aus Angst. Der Fall wird seitens Polizei oder Staatsanwaltschaft nicht weiter untersucht.

Stigmatisierung ist kein Einzelfall

Bernhards Geschichte hat auch Profis in Drogen- und Aidshilfe schockiert. Ganz überraschend kam der Vorfall
allerdings nicht. Stigmatisierung und unangemessene Reaktionen kommen häufiger vor.

„Wir erleben bei Beschäftigten im Gesundheitswesen wie auch bei Polizeikräften immer wieder einen stigmatisierenden Umgang gegenüber Menschen, die Drogen konsumieren“, konstatiert Dirk Schäffer, DAH-Referent für Drogen und Strafvollzug. „Es muss unser aller Anliegen sein, das Wissen über Drogenkonsum und
Menschen, die Drogen konsumieren, zu erhöhen und dann Haltungen zu verändern.“ Schon seit vielen Jahren fordern Drogen- und Aidshilfen bundesweit bessere Schulungen des medizinischen Personals zu Drogenproblematiken – gerade auch im ländlichen Raum.

Wer die Zahl der Drogentodesfälle senken möchte, muss auch hier ansetzen.

„Gerade vor diesem Hintergrund darf der Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende am 21. Juli keine leere Worthülle sein“, mahnt Christin Engelbrecht. „Wir brauchen mehr Bewusstsein für die Probleme suchtkranker Menschen, mehr Aufklärungsarbeit und vor allem mehr Mitgefühl und Einsatz in Notsituationen.“

Weitere Informationen:

www.aidshilfe.de

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