Gepotidacin
Gepotidacin – ein neuer Tropenvogel ?
Für Amerikaner scheint die Aussprache des generischen Namens des neuen Antibiotikums Gepotidacin eine so große Herausforderung darzustellen, dass Pal Sax in seinem lesenswerten Blog „HIV and ID Observations“ eine phonetische Anleitung zur Aussprache gibt. Der Handelsname „Blujepa“ geht dem Amerikaner deutlich leichter über die Lippen. Bei diesem Namen scheint sich allerdings nicht gleich die Assoziation „aha ein neues Antibiotikum!“ aufzudrängen. Vielmehr denkt Paul Sax dabei zuerst mal an einen neuen tropischen Vogel mit blauen Federn. Die Zulassung des neuen Antibiotikums Blujepa® sei eben ein mindestens genauso seltenes und wichtiges Ereignis wie die Entdeckung einer neuen Vogelart. https://blogs.jwatch.org/hiv-id-observations/
Neue Substanzklasse
Gepotidacin ist der erste Vertreter der neuen Substanzklasse der Topoisomerase-II-Hemmer. Die Substanz wirkt bakterizid, indem sie zwei verschiedene Topoisomerase-II-Enzyme (DNA-Gyrase und Topoisomerase IV) hemmt. Für eine Resistenzentwicklung müssten somit Mutationen in beiden Enzymen auftreten.
Studien
Die Zulassung basiert auf den Studien EAGLE-2 und EAGLE-3, in denen Gepotidacin und Nitrofurantoin verglichen wurde. Rund 3.000 Frauen erhielten fünf Tage lang entweder 1.500 mg Gepotidacin oder 100 mg Nitrofurantoin. Der kombinierte primäre Endpunkt war klinische Heilung plus mikrobiologische Eradikation zu Tag 10 bis 13.
Die Studien wurden nach einer Interimsanalyse vorzeitig beendet, da Gepotidacin in EAGLE-2 Nitrofurantoin nicht unterlegen (Heilungsrate 51% vs 47%) und in der EAGLE-3 überlegen war (Heilungsrate 58% vs 44%). Gepotidacin zeigte zudem eine bessere Wirksamkeit gegen resistente E.coli-Stämme (ESBL-produzierende E.coli sowie Fluorchinolon-resistente bzw. multiresistente E. coli).
Anwendung
Die empfohlene Dosierung ist täglich 2x 1 Tablette 750 mg Gepotidacin über fünf Tage zu den Mahlzeiten, um gastrointestinale Beschwerden zu vermeiden. Eine Dosisanpassung bei leichter bis moderater Nieren- oder Leberfunktionseinschränkung ist nicht erforderlich. Die Nebenwirkungen sind Diarrhö (16%), Übelkeit (9%) und Bauchschmerzen (4%). Beschrieben ist ferner die Möglichkeit einer dosisabhängigen Verlängerung der QTc-Zeit.
Wagenlehner F. et al. Oral gepotidacin versus nitrofurantoin in patients with uncomplicated urinary tract infection (EAGLE-2 and EAGLE-3): two randomised, controlled, double-blind, double-dummy, phase 3, non-inferiority trials. The Lancet. 2024; 403(10428):741-755. doi: 10.1016/S0140-6736(23)02196-7
U.S. Food & Drug Administration (FDA). Blujepa (Gepotidacin): Full Prescribing Information. Mar 2025
Kommentar Prof.
Johannes Bogner, München
Aus meiner persönlichen infektiologischen Sicht kann ich die FDA Zulassung von Gepotidacin mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten. Das lachende Auge freut sich darüber, dass ein Antibiotikum einer komplett neuen Wirkstoffklasse geprüft und zugelassen wurde. Auch wenn der Wirkmechanismus am Apparat Topoisomerase/Gyrase sehr stark an die Fluorchinolone erinnert, ist er doch so unterschiedlich, dass keine Kreuzresistenzen zu erwarten sind. Damit haben wir ein potentes neues Antibiotikum auch gegen manche multiresistente Gram-negative Erreger, das darüber hinaus oral bioverfügbar ist. Eigentlich ist das eine Situation, auf die wir lange gewartet haben.
Mein weinendes Auge sieht diese Substanz aber sofort in Gefahr, wenn man sich den Zulassungstext ansieht: Die Zulassung ist für unkomplizierte Harnwegsinfekte bei Frauen. Es ist also zu erwarten, dass die Substanz massenhaft verwendet werden wird. Bei jedem neuen Antibiotikum kommt es bei häufiger Anwendung eben häufig zur Selektion von neuen Resistenz-Mechanismen bzw. resistenten Stämmen. Wir sollten also sehr behutsam diskutieren, ob nach einer Zulassung in Europa tatsächlich eine Empfehlung hierfür in den Leitlinien gegeben werden kann.
Die ganze Diskussion über die Studien EAGLE 2 und EGALE 3 sollte auch vor dem Hintergrund geschehen, dass kürzlich die Ergebnisse der Studie EAGLE 1 publiziert wurden. Hier wurde gezeigt, dass in dem wirklich problematischen Feld der zunehmenden Resistenz von Gonokokken auch gegen Cephalosporine der 3. Generation, ein Medikament willkommen ist, das auch dann noch wirkt. Wir sollten uns also hüten, dieses wertvolle Instrument leichtfertig stumpf werden zu lassen.