Meningokokken-Impfung gegen Gonorrhoe
Der erste Hinweis, dass eine Meningokokken-Impfung auch vor Gonorrhoe schützen könnte, kam 2017 von einer Fall-Kontroll-Studie aus Neuseeland. Man dachte, vielleicht schützt eine Impfung gegen Neisseria meningitis auch gegen Neisseria gonorrhoae, die Keime sind ja immerhin verwandt. In dieser, von GSK finanzierten Untersuchung, wurde das Risiko einer Gonorrhoe durch die Impfung gegen Meningokokken Serotyp B (MenB-4C) signifikant um 31% gesenkt. 2022 zeigte eine ähnlich angelegte Auswertung der Daten von amerikanischen Gesundheitsbehörden ebenfalls einen protektiven Effekt von 26-40%. Bei beiden Studien handelt es sich um retrospektive Auswertungen von Datensammlungen.
In der kontrollierten prospektiven Studie DoxyVac wurde der präventive Effekt von Doxycyclin und der MenB-Impfung bei MSM geprüft. In einer ersten Auswertung war von einem positiven Effekt der Impfung die Rede, in der finalen Auswertung zeigte die Impfung jedoch keinerlei schützenden Effekt.
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A
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Kommentar David Chromy, Wien
Aktuell kann ich die Impfung in dieser Anwendung nicht empfehlen
Die Entscheidung des englischen Gesundheitssystem NHS, die Meningokokken-Impfung zu bezahlen, beruht
auf einer Kosteneffektivitäts-Berechnung für Großbritannien. Demzufolge könnten über die nächsten 10 Jahre 8 Millionen
Pfund eingespart werden. Allerdings wurden für diese Modellierung nur die Daten retrospektiver Studien berücksichtigt.
Prospektive Daten haben eine wesentlich höhere Evidenzklasse und sind für meine ärztlichen Entscheidungen daher relevanter. Die Meningokokken-Impfung als Maßnahme gegen Gonorrhoe kann ich daher aktuell nicht empfehlen. Davon unbenommen ist die Empfehlung der Impfung gegen Infektionen mit Meningokokken. Für Menschen mit HIV gehört diese Impfung zu den empfohlenen Standard-Impfungen. Für MSM ist es daher generell eine empfehlenswerte Impfung, da wir in dieser Gruppe, wenn auch selten, aber immer wieder Meningokokken-Ausbrüche gesehen haben.
Kommentar Prof. Stefan Esser, Essen
Kein individueller Schutz
Die Gonorrhoe gehört vor allem bei MSM zu den am häufigsten bakteriellen, sexuell übertragenen Infektionen. International wird besorgt eine zunehmende Resistenzentwicklung gegen verschiedene Antibiotika beobachtet. In Deutschland sind die Gonokokken in mehr als 90% der untersuchten resistent gegen Tetracycline. Die Einnahme einer Postexpositionsprophylaxe mit Doxycyclin (Doxy-PEP) nach ungeschütztem Sex senkt das Risiko einer Syphilis und einer Chlamydien-Infektion deutlich, verhindert in Deutschland aber aufgrund der Resistenzsituation nur selten eine Infektion mit Neisseria gonorrhoae. Um diese Lücke zu schließen, wäre eine Impfung wünschenswert. Die Kreuzreaktivität zwischen Meningokokken-Impfung gegenüber Gonokokken wurde als Chance gesehen. In einer prospektiven, randomisierten französischen Studie hatten Ungeimpfte im Vergleich zu Geimpften allerdings kein signifikant redu-ziertes Risiko einer Gonorrhoe. Obwohl günstige epidemiologische Effekte auch bei minimaler Wirksamkeit der Meningokokken-Impfung gegen Gonorrhoe angenommen werden, schützt die Impfung individuell nicht vor der Gonorrhoe. Eine spezifische Impfung gegen Ng wird dringend gebraucht und mehr die Forschung an einem Impfstoff gegen Gonokokken notwendig.